Der BGH hat mal wieder ein Urteil zur Anwaltshaftung, hier speziell in der Zwangsvollstreckung, gefällt (Bundesgerichtshof: Urteil vom 19.09.2019 – IX ZR 22/17), das selten lebens- und praxisfern ist.
Was war passiert?:
Am 26.06.2012 erging ein Urteil zugunsten des Mandanten über 42.275 Euro, Zug um Zug gegen Abtretung von Rechten. Bereits am Folgetag beantragten die Anwälte Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung (als Voraussetzung der Zwangsvollstreckung), die am 11.07.2012 erteilt wurde. Wiederum am gleichen Tag – die Anwälte waren hier wirklich flink – erteilten sie über die Gerichtsvollzieherverteilerstelle Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher und legten dazu sogar eine Prozessbürgschaft vor (da das Urteil noch nicht rechtskräftig war). Ein Sachpfändungsversuch am 10.08.2012 (auch die Gerichtsvollzieherin war hier flink) war erfolglos, in dem daraufhin anberaumten Termin zur Vermögensauskunft erschien der Schuldner nicht. Das teilte die Gerichtsvollzieherin – nun nicht mehr so flink – den Anwälten bereits etwas mehr als einen Monat später am 07.11.2012 mit. Am 08.11.2012 beantragte der Schuldner die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.
Der Mandant ging deswegen leer aus und nimmt nun seine (ehemaligen) Rechtsanwälte auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie die Vollstreckung trotz Kenntnis einer Insolvenzgefahr nicht schnell und effektiv genug betrieben hätten.
Der BGH hat die Anwälte entsprechend zu Schadensersatz verurteilt:
Ein Rechtsanwalt, der mit der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung beauftragt worden ist und einen Titel gegen einen Schuldner des Mandanten erwirkt hat, hat zügig die Zwangsvollstreckung zu betreiben, soweit pfändbares Vermögen bekannt ist oder mit den Möglichkeiten, welche die Zivilprozessordnung bietet, ermittelt werden kann. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Insolvenz des Schuldners bevorsteht, muss der Anwalt den Mandanten so weit belehren, dass dieser in Kenntnis der absehbaren Chancen und Risiken eine eigenverantwortliche Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen kann. Zu diesem Vorgehen kann die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner gehören. Droht dem Mandanten ein Rechtsverlust, hat der Anwalt diesem durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Deshalb muss der Anwalt die Zwangsvollstreckung mit besonderer Beschleunigung betreiben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verzögerung zum Ausfall des Mandanten führen würde.
Der BGH meint hier, statt einer Sachpfändung und Vermögensauskunft hätten die Anwälte einen Kontenpfändung veranlassen müssen:
Die Forderungspfändung hätte die Widerbeklagte nach Erhalt der vollstreckbaren Ausfertigung am 11. Juli 2012 ohne vermeidbare Verzögerung veranlassen müssen, weil sie Anhaltspunkte für eine bevorstehende Insolvenz der Schuldnerin hatte.
Dass eine erfolgreiche Forderungspfändung im Insolvenzverfahren angefochten worden wäre, verneint der BGH.
Abgesehen davon, dass auch ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss abhängig vom angerufenen Gericht mehrere Monate brauchen kann, bis er wirksam wird, wird hier klar dem Anwalt das Risiko der Auswahl geeigneter Vollstreckungsmaßnahmen auferlegt. Der Praktiker weiß, dass Schuldner ihre Vermögenswerte oft gut zu verschleiern wissen und die Zwangsvollstreckung oftmals einem Stochern im Nebel gleicht. Wenn jetzt mit dem Urteil des BGH das Risiko erfolgloser Vollstreckungen dem Anwalt insoweit angelastet wird, dass er hierfür nicht nur keine Vergütung erhält, sondern auch noch in Höhe der Vollstreckungsforderung haftet, wird der eigene Anwalt prinzipiell zum „Ersatz-Schuldner“.